9. April 2020

Licht ins Dunkle – Moderne Tumordiagnostik aus der AG Schüller setzt sich in der Erwachsenenmedizin durch. 

Am Forschungsinstitut Kinderkrebs-Zentrum Hamburg wird erfolgreich an der Weiterentwicklung von Diagnostik-Verfahren geforscht. Die Methodik der globalen Methylomanalyse, die Professor Dr. Ulrich Schüller zusammen mit Kollegen vor gut zwei Jahren in Hamburg etablierte, hat sich mittlerweile in vielen Bereichen durchgesetzt und zu großen Fortschritten in der Diagnostik kindlicher Hirntumoren geführt. Mittlerweile kommt dieses Verfahren auch am UKE in der Erwachsenenmedizin  – nämlich zum Beispiel auch bei Patienten mit Hypophysenadenomen  – zur Anwendung, wie aktuell in der Fachzeitschrift Acta Neuropathologica https://link.springer.com/article/10.1007/s00401-020-02149-3 beschrieben.

Professor Schüller, die globale Methylomanalyse wird von Ihnen seit zwei Jahren bei kindlichen Hirntumoren eingesetzt. Mit welchem Erfolg/welchen Konsequenzen für die Patienten?

Es ist nicht so, als hätten wir vorher kindliche Hirntumoren nicht erkennen können. Durch die neue Technik wird den Befunden aber ein zusätzliches Level der Validierung verliehen und bei vielen Entitäten ist auch eine noch genauere Einordnung in klinisch relevante Subtypen möglich. In seltenen Fällen ist es auch so, dass ein Tumor mit konventionellen Methoden wie der Mikroskopie gar nicht eingeordnet werden konnte, und erst die Methylomanalyse Aufschluss bringt. Man kann durchaus sagen, dass sich die Methylomanalyse zu einem äußerst wertvollen Tool in der täglichen Routinediagnostik entwickelt hat.

Was macht die Diagnostik von kindlichen Hirntumoren so schwierig?

Hier spielen mehrere Aspekte eine Rolle: Zum einen gibt es dutzende verschiedene Hirntumoren im Kindesalter, deren Unterscheidung für die Therapie essentiell ist. Zum anderen sind viele Tumoren, gerade sog. embryonale Hirntumoren sehr undifferenziert, was die Diagnostik erheblich erschwert. Schließlich gibt es viele Tumoren, die anatomisch so schwer erreichbar sind, dass eine Resektion nicht möglich ist bzw. zu gefährlich wäre. Wenn überhaupt, können hier nur winzige Proben entnommen werden. Das heißt, dass sehr komplexe Diagnosen an winzigen, mit dem Auge kaum sichtbaren Proben gestellt werden müssen.

Das gemeinsam mit Ihren neurochirurgischen Kollegen des UKE publizierte Paper https://link.springer.com/article/10.1007/s00401-020-02149-3 unterstreicht den Erfolg der neuen Methode. Wie schätzen Sie das Potential dieser Analyse für weitere Indikationen ein?

Meines Erachtens gibt es hier noch ein sehr hohes Potential. Bislang sind es eigentlich nur die hirneigenen Tumoren, die hier analysiert werden. Ich bin mir aber sicher, dass wir relativ bald zum Beispiel auch sagen werden können, woher eine Metastase kommt, die sich im Gehirn gebildet hat. Auch für Sarkome, die sehr schwer voneinander zu unterscheiden sind, gibt es schon erste Ansätze, die sehr vielversprechend sind. Schließlich träumen wir davon, auch Tumor DNA, die im Blut zu finden ist, zu nutzen, um den Tumor, von dem diese DNA stammt, mittels Methylomanalyse klar definieren zu können.

Wie stark beeinflussen die Fortschritte der molekularen Diagnostik die Art der Therapie? Können Sie hier aus Ihrem Bereich Beispiele nennen?

Der Einfluss ist groß. Ohne eine korrekte Diagnose kann es keine passgenaue Therapie geben. Beispiele gibt es viele. Ob, mit welcher Dosis und wo ein Patient bestrahlt wird, hängt ganz wesentlich von der genauen Diagnose ab. Ob ein Patient das Medikament TEMODAL bekommt, hängt von der Methylierung bestimmter Genomabschnitte ab. Ob ein Patient einen BRAF Inhibitor bekommt, hängt davon ab, ob es Mutationen in diesem Gen gibt, und so weiter.

Die Ableitungen von Forschungsergebnissen aus der pädiatrischen Onkologie auf die Erwachsenenmedizin - hat dieser Wissenstransfer Potential für andere Bereiche/Indikationen?

Absolut. Aus guten Gründen gibt es ausgedehnte Forschungsaktivitäten und -erfolge in der pädiatrischen Onkologie. Diese zu übertragen ist sinnvoll. Die von mir schon erwähnte Diagnostik von Metastasen, vor allem bei Patienten mit unbekanntem Primärtumor, wäre so ein Beispiel. Globale Methylomanalysen werden auch dieses Feld ein gutes Stück voranbringen, da bin ich mir sicher.

Was motiviert Sie besonders an Ihrer Arbeit?

Neben vielen anderen Aspekten rührt die Motivation vor allem daher, Beiträge zu leisten, die die Versorgung der Patienten konkret verbessert. Das können kleine Beiträge sind, aber jeder Beitrag ist hier wichtig. Wenn wir zum Beispiel durch eine korrekte bzw. möglichst genaue Diagnose dem behandelnden Onkologen nahelegen, dass eine Bestrahlung des Kindes nicht indiziert ist, können dem Kind schwerwiegende Nebenwirkungen erspart werden. Wenn wir durch unsere Diagnose ein humangenetisches Konsil indiziert sehen, kann das enorm wichtig für Familienplanung und Beobachtung von möglichen Zweittumoren sein. Und wenn wir mit unseren modernen Methoden leider sehen, dass der Tumor besonders aggressiv ist, dann ist das die Grundlage für eine maximale Therapie, die dann hoffentlich das Leben des Patienten rettet.


Professor Dr. Ulrich Schüller, Entwicklungsneurobiologie und pädiatrische Neuroonkologie.

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